Man könnte erwarten, dass saarländische Bundestagsabgeordnete der CDU den Holocaust-Gedenktag zum Innehalten nutzen – ein Moment der Reflexion, ein Zeichen gegen das Vergessen. Doch Zeichen verblassen, wenn ihnen keine konsequenten Taten folgen. Nur zwei Tage später blicken sie in die Finsternis – und die Finsternis blickt zurück. Sie lassen sich vor einen Karren spannen, dessen Richtung brandgefährlich ist. Einem Antrag stimmen sie zu, der zwar rechtlich unverbindlich, aber politisch hochbrisant ist – und genau dort gefeiert wird, wo die Demokratie am meisten verachtet wird.
Wann wird aus Erinnerung Beliebigkeit? Wann wird ein Gedenken, das an einem Tag mit Pathos vorgetragen wird, zur leeren Hülse, weil es keine Konsequenzen hat?
Wenn Haltung zur Verhandlungsmasse wird
Die Worte von gestern zählen nichts mehr, wenn die Taten von heute ihnen widersprechen. Wer Erinnerung ernst nimmt, lässt sie nicht am nächsten Verhandlungstisch in sich zusammenfallen. Und doch passiert genau das. Die Abgeordneten betonen die historische Verantwortung – und nehmen dann eine politische Abzweigung, die denen gefällt, die diese Verantwortung als Last empfinden.
Es ist ein Spiel mit der Grenze: Wo endet der demokratische Diskurs, wo beginnt das gefährliche Abdriften? Wer entscheidet darüber, was taktische Klugheit und was moralischer Verrat ist? Und vor allem: Wann wird das eigene Lavieren zur Einladung für jene, die die Schwäche der anderen als ihre Chance begreifen?
Von wem lassen wir uns treiben?
Es heißt oft, man dürfe sich von Extremen nicht treiben lassen. Doch was, wenn der eigentliche Druck nicht von außen kommt, sondern aus der eigenen Angst, in der öffentlichen Debatte ins Hintertreffen zu geraten? Wer fürchtet, dass die AfD ihm das Heft aus der Hand nimmt, übernimmt am Ende ihre Wortwahl – und glaubt, damit die Kontrolle zu behalten.
Doch Kontrolle verliert man nicht in einem großen Knall. Sie schwindet schleichend, mit jeder Grenzverschiebung, mit jedem Kompromiss, der keiner sein sollte. Der Moment, in dem Verfassungsfeinde applaudieren, ist nicht der Moment des Sieges, sondern der des Scheiterns.
Die Politik der falschen Lösungen
Und während in Sonntagsreden von „wehrhafter Demokratie“ gesprochen wird, werden unter der Woche Beschlüsse gefasst, die das Gegenteil bewirken. Mehr Härte im Asylrecht, mehr Symbolpolitik an den Grenzen – und weniger pragmatische Lösungen, die tatsächlich funktionieren. Was wirklich hilft, ist nicht die nächste Gesetzesverschärfung, sondern eine funktionierende Verwaltung, ausreichend Personal, eine kluge Verteilung von Ressourcen. Doch diese Lösungen sind kompliziert, sie taugen nicht für die schnelle Schlagzeile.
Stattdessen regiert der Reflex: Härte zeigen, Probleme verschieben, Zuständigkeiten verlagern. Und währenddessen wächst das Misstrauen gegenüber der Politik – nicht, weil sie zu schwach ist, sondern weil sie zu oft schwankt.
Der Preis der Anpassung
Gedenken ist kein Selbstzweck. Es ist eine Verpflichtung. Wer es ernst meint, kann sich nicht zwei Tage später an Entscheidungen beteiligen, die das Gegenteil bewirken. Man kann nicht einerseits von Verantwortung sprechen und andererseits politische Linien verwischen, bis die Unterschiede zu jenen, die man angeblich bekämpft, kaum noch sichtbar sind.
Manche glauben, sie könnten den rechten Rand austrocknen, indem sie ihm immer wieder entgegenkommen. Doch wer sich ständig anpasst, läuft Gefahr, selbst die Orientierung zu verlieren.