Es beginnt mit einer vermeintlich cleveren Strategie: Man nimmt den Rechten ihre Themen weg, schwächt sie, indem man ihnen die Deutungshoheit streitig macht. Ein wenig schärfere Rhetorik hier, eine restriktivere Migrationspolitik dort – und schon läuft der Wähler wieder brav zur Mitte zurück. Das klingt logisch, ist aber eine brandgefährliche Illusion.
Denn wer glaubt, Faschismus ließe sich durch Anpassung eindämmen, hat nicht verstanden, wie er funktioniert. Wer denkt, man könne das rechte Feuer mit ein paar taktischen Brandstiftungen ersticken, hat die Natur des Feuers nicht begriffen. Und wer meint, eine Demokratie könne sich gegen ihre Feinde behaupten, indem sie selbst ein wenig autoritärer wird, der untergräbt genau das, was sie ausmacht.
Der große Trugschluss: Wenn der Wolf Kreide frisst
Die Idee, rechte Positionen zu übernehmen, entspringt einer fundamentalen Fehleinschätzung. Sie geht davon aus, dass Wähler ihre politische Heimat nach reinen Sachfragen aussuchen, dass es also reicht, einige Forderungen der Rechten zu übernehmen, um sie zu entzaubern. Doch das ist ein Irrtum. Menschen wählen keine einzelnen Positionen – sie wählen ein Narrativ, eine Weltsicht, eine Erzählung darüber, wer „wir“ sind und wer „die anderen“ sind.
Rechtspopulismus funktioniert nicht wie ein Supermarkt, in dem man sich einzelne Produkte aus dem Regal nimmt. Er ist eine ideologische Bewegung, die von Feindbildern, von der Idee einer bedrohten Identität, von der Sehnsucht nach einfachen Lösungen lebt. Wer glaubt, man könne den Rechten durch das Kopieren ihrer Forderungen schaden, stärkt in Wahrheit ihre Erzählung. Denn jede Übernahme bestätigt ihre Grundbehauptung: dass ihre Sichtweise legitim sei, dass ihre „Sorgen“ berechtigt seien, dass die „Elite“ endlich auf sie hört.
Und genau hier liegt das Problem. Die Geschichte lehrt uns: Wenn der Mainstream beginnt, rechtes Denken zu übernehmen, dann wird rechtes Denken Mainstream. Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich, das politische Koordinatensystem verlagert sich nach rechts – und am Ende profitieren die Rechten.
Der Mechanismus der Radikalisierung
Es gibt einen simplen Grund, warum rechte Parteien nicht durch Anpassung schwächer werden, sondern stärker: Sobald etablierte Parteien ihre Positionen übernehmen, müssen sie sich absetzen – und radikalisieren sich weiter.
Das Muster ist überall dasselbe:
- In Deutschland passte sich die Union nach 2015 in Teilen der AfD-Rhetorik an – die AfD zog daraufhin noch weiter nach rechts und wurde immer radikaler.
- In Frankreich versuchte die konservative Rechte, den Front National durch eine Annäherung kleinzuhalten – stattdessen erlebte die Partei unter Marine Le Pen ihren größten Aufstieg.
- In den USA übernahmen die Republikaner Trumps Positionen, um seine Anhänger einzubinden – und verloren damit endgültig ihre eigene Identität.
Rechte Parteien sind politische Chamäleons. Sie überleben nicht, weil sie bestimmte Forderungen vertreten, sondern weil sie sich permanent neu erfinden können. Ihre Stärke liegt darin, dass sie sich als Außenseiter inszenieren, als unbestechliche Stimme gegen das „System“. Wenn das „System“ beginnt, sie zu kopieren, dann sehen sie sich erst recht bestätigt – und radikalisieren sich, um sich wieder abzugrenzen.
Jede Anpassung an ihre Positionen bedeutet daher nicht, dass sie schwächer werden – sondern dass sie die Spielregeln bestimmen. Und sobald die Demokratie beginnt, sich an den Faschismus anzupassen, hat sie sich schon auf seinen Boden begeben.
Die Normalisierung des Undenkbaren
Das wohl gefährlichste an dieser Strategie ist jedoch ihre langfristige Wirkung: die Normalisierung des Faschismus.
Was gestern noch als Tabu galt, wird heute als „diskutabel“ behandelt und morgen als Selbstverständlichkeit hingenommen. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass Begriffe wie „Remigration“ offen in deutschen Talkshows debattiert werden? Wer hätte erwartet, dass es in westlichen Demokratien wieder salonfähig wird, ganze Bevölkerungsgruppen als „Last“ oder „Gefahr“ darzustellen?
Rechtspopulisten testen permanent die Grenzen des Sagbaren. Ihr Ziel ist es nicht, von heute auf morgen die Macht zu übernehmen, sondern den öffentlichen Diskurs schrittweise nach rechts zu verschieben. Und jedes Mal, wenn eine etablierte Partei eine ihrer Positionen übernimmt, verschiebt sich diese Grenze ein Stück weiter.
Es gibt für diesen Mechanismus einen historischen Präzedenzfall: die 1920er Jahre in Deutschland. Die Nationalsozialisten galten anfangs als radikale Randerscheinung, wurden von der konservativen Elite jedoch als nützliche Kraft gegen den Sozialismus betrachtet. Also näherte man sich an. Man übernahm ein wenig ihrer Rhetorik, ein paar ihrer Forderungen, ein bisschen ihrer Menschenverachtung – um sie in das politische System einzubinden. Wir wissen, wie das endete.
Die Feigheit der Mitte
Doch warum tun etablierte Parteien das überhaupt? Warum begeben sich demokratische Kräfte auf diesen gefährlichen Pfad? Die Antwort ist so banal wie ernüchternd: aus Feigheit.
Demokratische Politik ist kompliziert. Sie erfordert Argumente, differenzierte Lösungen, den Mut, Unpopuläres zu vertreten. Rechtspopulisten hingegen haben ein einfaches Angebot: Schuldzuweisungen, klare Feindbilder, einfache Lösungen. Und statt dieser Herausforderung mit klugen, aber unbequemen Antworten zu begegnen, kapitulieren viele Politiker vor der Versuchung, es sich leicht zu machen.
Es ist die Logik des geringsten Widerstands: Statt sich gegen den rechten Druck zu stellen, beugt man sich ihm. Statt mutige, eigene Positionen zu vertreten, übernimmt man das, was gerade populär erscheint. Doch genau diese Feigheit ist es, die den Rechtspopulismus erst stark macht.
Denn Wähler merken, wenn eine Partei keine klare Haltung hat. Und wenn sie zwischen dem rechten Original und einer halbherzigen Kopie wählen können, entscheiden sie sich für das Original.
Der einzige Weg: Konfrontation statt Anbiederung
Was also tun? Die Antwort ist klar: Der Faschismus lässt sich nicht durch Anpassung bekämpfen – sondern nur durch entschiedene Konfrontation.
- Klartext statt Anpassung: Rechtspopulistische Positionen müssen als das benannt werden, was sie sind: menschenverachtend, demokratiefeindlich, gefährlich.
- Eigene Lösungen statt Parolen: Demokratische Parteien müssen den Mut haben, ihre eigenen Konzepte offensiv zu vertreten – auch wenn sie komplizierter sind als rechte Schlagworte.
- Haltung statt Opportunismus: Wer sich dem rechten Druck beugt, verliert. Nur wer sich klar abgrenzt, kann glaubwürdig bleiben.
Es gibt in dieser Frage keine Kompromisse. Wer glaubt, Faschisten mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können, hat bereits verloren. Denn Faschismus ist kein politisches Konzept, das man übernehmen kann, um es „umzudrehen“ – er ist eine toxische Ideologie, die sich nur ausbreitet, wenn man ihr Raum gibt.
Und am Ende bleibt eine einfache Wahrheit: Demokratie gewinnt nicht durch Anpassung an ihre Feinde, sondern nur durch ihre entschlossene Verteidigung. Wer das nicht versteht, hat aus der Geschichte nichts gelernt.